Was wären wir ohne Filmmusik?! Wir haben ihr so viele unvergessliche Momente zu verdanken. Tauchen Sie mit uns ein in die emotionale Welt der Soundtrack
Ich kann mit Bildern zeigen, wie sich das Fahrrad mit E.T. vom Boden erhebt, aber John Williams bringt es zum Fliegen.
Regisseur Steven Spielberg
Schöner als Regisseur Steven Spielberg kann man die Wirkung von Filmmusik nicht zusammenfassen. Natürlich hat er mit John Williams einen außergewöhnlich begabten Stammkomponisten für Filmmusik gefunden, der maßgebliche Soundtracks geschrieben hat. Einer der besten, einflussreichsten und erfolgreichsten Filmmusik-Komponisten aller Zeiten. Einer der größten Melodiker überhaupt, der uns unzählige Ohrwürmer beschert hat, Hollywood-Hymnen wie „E.T.“, „Superman“, „Indiana Jones“, „Jurassic Park“ oder „Schindlers Liste“.
Während Williams unzählige nachfolgende Filmmusik-Komponisten beeinflusst und inspiriert
hat - heute angesagte Komponisten wie Alexandre Desplat nennen ihn regelmäßig als Vorbild und großen Einfluss - so wurde Williams selbst natürlich ebenfalls musikalisch geprägt. Wer den Soundtrack zum Film „Kings Row“ von Erich Wolfgang Korngold hört, wird vermutlich schnell an Williams‘ „Star Wars“-Soundtrack denken. Und das bringt uns zur Frage: Wie hat alles angefangen?
In der Zeit zwischen 1895 und 1929 wird Filmmusik von jedem einzelnen Lichtspielhaus bereitgestellt, entweder per Phonograph oder von Musikern, die live zu den Filmbildern spielen. Im letzteren Fall improvisiert entweder ein Pianist zum Film oder ein kleines Musikerensemble spielt im Hintergrund während des Films ein klassisches Stück.
1929 erblickt der Tonfilm das Licht der Kinowelt und es wird damit die Möglichkeit geschaffen, Filmmusik und Ton mit Zelluloid zu synchronisieren. Und so wird Musik schnell zu einem integralen Bestandteil des Geschichtenerzählens. Plötzlich werden Komponisten von Hollywood beauftragt, neues Material speziell für die Filme zu schreiben. Ein neuer Beruf ist geboren – und es beginnt eine äußerst fruchtbare Phase der sinfonischen Filmmusik.
In den 1930er Jahren beginnt eine einzigartige Periode in der Geschichte der Filmmusik, die in etwa bis zum Ende der 50er Jahre anhält. Die für die Filme geschriebene Musik explodiert vor Kreativität, die Filmmusik-Komponisten dieser Zeit kommen hauptsächlich aus der Konzertmusik und schreiben fast ausschließlich Orchesterstücke. Sinfonische Filmmusik voller schwelgerischer Melodien entstehen, vor allem von Komponisten wie Max Steiner, Erich Wolfgang Korngold, Franz Waxman, Alfred Newman oder Miklós Rózsa.
Der Wiener Max Steiner ist verantwortlich für viele zeitlose Klassiker, darunter die Soundtracks zu „King Kong“, „Casablanca“ und „Vom Winde verweht“. Er ist dreifacher Oscar-Gewinner und für viele Filmmusikkomponisten bis heute wichtiges Vorbild und Inspirationsquelle, von Nino Rota bis Jerry Goldsmith.
Man kann sagen: Max Steiner war der erste große Filmmusik-Schreiber Hollywoods, er hat ab 1929 für RKO Pictures Musik komponiert und damit in Hollywood die Filmmusik etabliert. Schon in seiner 1933 erschienenen Filmmusik zu „King Kong“ bedient er sich des Leitmotivs. Eine Technik des deutschen Opernkomponisten Richard Wagner, bei der einzelnen Charakteren oder Ereignissen bestimmte Instrumente oder musikalische Themen zugeordnet werden. In den folgenden Jahrzehnten wird die Verwendung des Leitmotivs in der Filmmusik allgegenwärtig, man denke nur an Howard Shores genialen Score zu „Herr der Ringe“.
In den 1950er Jahren bekommen die bis dato dominierenden sinfonischen Soundtracks einen frischen musikalischen Anstrich, einen musikalisch oftmals regelrecht revolutionären Sound. 1951 komponiert Alex North einen interessanten musikalischen Hybriden aus sinfonischem Orchesterklang und Jazz-Band: „Endstation Sehnsucht“ („A Streetcar Named Desire“).
In den folgenden Jahren schreiben damals schwer angesagte Jazzmusiker ebenfalls Soundtracks, wie Duke Ellington zu „Anatomie eines Mordes“ („Anatomy of a Murder“, 1959) oder Miles Davis. Seine Filmmusik zum französischen Film Noir „Fahrstuhl zum Schafott“ („Ascenseur pour l'échafaud“) von Louis Malle aus dem Jahr 1958 gilt bis heute als Klassiker der Filmmusik.
Es ist Jazz in seiner reinsten Form, mit einem Trio von Musikern eingespielt, das live zu den Filmszenen improvisiert. Eine stilprägende Filmmusik, die weiteren jazzigen Scores von afroamerikanischen Musikern und Komponisten wie Quincy Jones, Herbie Hancock und Terence Blanchard den Weg ebnet.
Zwei eminent wichtige Filmmusikkomponisten, die immer wieder jazzige Soundtrack schreiben, sind Henry Mancini und Lalo Schifrin. Mancini landet mit der lässigen Leichtigkeit seiner Scores, allen voran natürlich der kultigen Mitschnipp-Musik der „Pink Panther“-Reihe, einen Erfolg nach dem anderen. Und auch Lalo Schifrin komponiert unzählige geniale Soundtracks und nicht zuletzt mit seinem „Mission-Impossible“-Thema (in Deutschland lief die Serie unter dem Titel „Kobra, übernehmen Sie“ im Fernsehen) einen bis heute auch von uns immer wieder gern gespielten Filmmusik-Klassiker.
Einen ähnlich lässigen „Big-Band trifft auf Rock’n‘Roll-Combo“-Sound liefert auch John Barry ab, der ebenfalls vor allem in den 60er-Jahren einige loungige Fingerschnipp-Filmmusiken schreibt, allen voran seine diversen James-Bond-Soundtracks, mit denen er den Sound von Spionagefilmen fast im Alleingang und bis heute geprägt hat.
Mancini wiederum bleibt auch als einer der erfolgreichsten Komponisten im Verschmelzen von Easy Listening, Jazz, Orchestersound und Pop in Erinnerung und landet mit seinem Song „Moon River“ aus „Frühstück bei Tiffany“ („Breakfast at Tiffany’s“) einen höchst erfolgreichen Hit in der Filmmusik. Wie überhaupt immer mehr der Pop in Hollywood einzieht, man erinnere sich an Mike Nichols‘ Film „Die Reifeprüfung“ („The Graduate“) von 1967 und an den Simon & Garfunkel-Song „Mrs. Robinson“, der zum Nummer-eins-Hit wird.
Wo wir gerade beim Pop-Gespann Simon & Garfunkel sind; an erfolgreichen Zweiergespannen in Bezug auf Regisseur und Komponist mangelte es auch in der Filmgeschichte nicht. Der eben erwähnte Henry Mancini schrieb gerne für Blake Edwards‘ Filme seine Soundtracks.
Die bekanntesten Duos aus Filmmusik (Komponist) und Film (Regisseur):
Und bei meinem Lieblingskomponisten Ennio Morricone muss man gleich zwei Filmemacher nennen, mit denen der Maestro immer wieder zusammen gearbeitet hat: nämlich Sergio Leone und Giuseppe Tornatore.
Für mich steht Morricone auf der Liste der einflussreichsten und genialsten Komponisten der Filmmusik an der Spitze, weil er es geschafft hat, so gut wie jedes Musikgenre in seine Filmmusik einzuweben:
Klassik und Neue Musik, Schlager und Pop, Folklore, Jazz, Folk, Beat und Bossa Nova, elektronische Musik und freie Improvisation, Zwölftonmusik, Rock und World Music. Weil er unfassbar schöne, melancholische, sehnsüchtige, schwelgerische Melodien geschrieben hat.
Weil er für Hip Hop Heads genauso gut zu hören ist wie für Punkrocker, für Klassik-Liebhaber genauso wie für Jazz-Euphoriker; er also mit anderen Worten, jedem Menschen mit Herz und Gefühl garantiert mindestens einen „Morricone-Moment“ bieten wird! Weil er trotz seines großen Erfolgs zeitlebens bescheiden geblieben ist und sich selbst nie in den Vordergrund gespielt oder sich besonders wichtig genommen hätte. Und weil es mir genauso geht wie dem Filmmusikkomponisten Ralf Wengenmayr, der uns mal gesagt hat: „Morricones Musik tröstet mich, wenn ich traurig bin. Und macht mich noch glücklicher, wenn ich eh schon zufrieden bin“.
Nach diesem kleinen, unbedingt notwendigen Exkurs, wieder zurück in unsere Filmmusik-Zeitmaschine und damit zurück in die 70er Jahre. Denn zusätzlich zu den großen, sinfonischen Soundtracks von John Williams („Superman“ oder „Star Wars“), die das „Golden Age“ nochmals soundmäßig wieder auferstehen lassen, und den innovativen und experimentellen Scores, die Morricone vor allem in den 60er Jahren schreibt („Spiel mir das Lied vom Tod“, „Zwei glorreiche Halunken“, aber auch all die mit Bossa-Nova-Elementen versehenen Filmmusiken, die er vor allem für das italienische Kino schuf), wird der Synthesizer zum immer wichtigeren Instrument.
Hier ist das Jahr 1973 besonders entscheidend, denn Regisseur John Carpenter, der - ähnlich wie vor ihm Charlie Chaplin und nach ihm Clint Eastwood – für den Großteil seiner Filme selbst den Soundtrack schreibt, erweitert die sinfonische Soundtrack-Welt durch die Filmmusik zu „Dark Star – Finsterer Stern“ um die elektronische Komponente. Bis zu diesem Zeitpunkt erforderten Soundtracks ein Ensemble von Instrumentalisten, um die Musik zu spielen. Und während Orchester oft aus Dutzenden von Musikern bestehen, konnte von nun an eine einzelne Person die gesamte Synthesizer-Partitur programmieren.
Aufgrund von Quantensprüngen in der digitalen Technologie – insbesondere beim Sampling und beim computergestützten Sequencing – kommt es in den 1980er Jahren zu diversen synthesizerlastigen Soundtracks. Bis heute einflussreiche Filmmusiken entstehen, wie „Die Klapperschlange“ („Escape From New York“, 1981) von John Carpenter, „The Terminator“ (1984) von Brad Fiedel, „Blade Runner“ (1982) von Vangelis oder auch „Tron“ (1982) von Wendy Carlos.
Auch Jerry Goldsmiths Arbeit an der Star Trek-Filmreihe (ab 1979) erforscht die Möglichkeiten, Orchesterklänge mit elektronischen Elementen zu verschmelzen. Und ein Frankfurter beginnt damit, Hollywood musikalisch aufzumischen: Hans Zimmer.
Hans Zimmer beginnt ab dem Ende der 80er Jahre mit seinen Soundtracks zu „Rainman“ und „Black Rain“ seine Sound-Spuren zu hinterlassen und prägt bald den typischen Klang des 90er Jahre Action-Kinos. Bis heute ist der Ringelsockenträger und Oscar-Gewinner nicht nur bescheiden, bodenständig und sympathisch, sondern auch musikalisch äußerst einflussreich geblieben. Letzteres vor allem dank seines umfassenden und innovativen Einsatzes von Technologie. Seine hybriden Filmmusiken vereinen aufs Schönste elektronische Einflüsse mit sinfonischer Orchesterarbeit und fließen manchmal direkt ins Sounddesign eines Films ein, man denke an das Ticken des Sekundenzeigers in seiner Filmmusik zu „Dunkirk“.
Alle Soundtracks, die Zimmer für seinen langjährigen Stammregisseur Christopher Nolan konzipiert und komponiert hat, sind überaus innovativ. Regisseur und Komponist haben dabei so eng zusammengearbeitet, dass Zimmer vor ein paar Jahren auf seiner Facebook-Seite schrieb: die Hälfte des „Interstellar“ Soundtracks gehöre seinem Freund Chris. Passend zu diesem Weltraumdrama ist Filmmusik wie aus einer anderen Dimension entstanden. Auch wenn man „Interstellar“ nicht gesehen hat, steigt man im Ohrensessel zu intergalaktischen Höhen auf. Vor allem die Orgel prägt diesen Soundtrack – dieser düstere, leicht bedrohliche dumpfe Klang, der in Verbindung mit den Streichern eine unheilschwangere Schwere bekommt. Sphärischer Sound, mystische Musik – schwebend und schwerelos.
Mittlerweile existieren so viele stilistisch unterschiedliche Filmmusiken, dass es schwerfällt, auf alle detailliert einzugehen. Was allerdings auffällt: Musiker mit nicht-sinfonischem Hintergrund machen sich immer mehr und auch weiterhin erfolgreich in der Filmindustrie einen Namen – darunter sind Rockstars (oder ehemalige Rockstars) wie Trent Reznor von der Band „Nine Inch Nails“, der mittlerweile zwei Filmmusik-Oscars gewonnen hat – für den gemeinsam mit Atticus Ross komponierten Soundtrack zu David Finchers Filmdrama „The Social Network“ und für den mit Ross und Jon Batiste komponierten Score für den Animationsfilm „Soul“; Cliff Martinez, der für Regisseure wie Steven Soderbergh und Nicolas Refn gearbeitet hat und seine musikalische Karriere als Gründungsmitglied und Schlagzeuger der „Red Hot Chili Peppers“ begann; oder auch Jonny Greenwood, der nicht nur als Gitarrist der Band „Radiohead“ Erfolge feiert, sondern auch als Soundtrack-Schreiber, vor allem für Regisseur Paul Thomas Anderson.
Neben den diversen Ex-Rockern feiern vermehrt auch Frauen in der Filmmusik-Welt Erfolge, obwohl gerade in diesem Bereich der Filmindustrie noch viel mehr möglich wäre und man Komponistinnen leider immer noch viel zu selten begegnet. Zwei britische Frauen halten seit den 90er-Jahren die weibliche Filmmusik-Fahne hoch, und haben viele großartige Soundtracks komponiert, nämlich Debbie Wiseman („Oscar Wilde“) und Rachel Portman („Chocolat“, „Gottes Werk und Teufels Beitrag“), die auch als erste Frau den Filmmusik-Oscar gewonnen hat, nämlich für den Soundtrack zur Jane Austen-Verfilmung „Emma“.
2020 gewinnt die Isländerin Hildur Guðnadóttir als überhaupt erst vierte Frau den Oscar für die beste Filmmusik. In ihrer Dankesrede äußert sich die Komponistin zu weiblicher Repräsentation bei den Academy Awards: „An alle Mädchen, Frauen, Mütter und Töchter, die Musik in sich brodeln hören, bitte erhebt eure Stimme! Wir müssen eure Stimmen hören!“
Mittlerweile gibt es natürlich auch unfassbar viel hörenswerten musikalischen Output in punkto Serien, der so umfassend ist, dass hier nicht näher darauf eingegangen werden kann. Nur so viel – von Bill Contis wunderbarem schwelgerischen Ohrwurm zur Mini-Serie „Fackeln im Sturm“ („North and South“) bis zu Ramin Djawadis ebenfalls nicht mehr aus dem Kopf zu bekommenden Klängen zu „Game of Thrones“ gibt es auch hier unendlich viel zu entdecken.
Wie auch im Bereich der Computerspiel-Musik. Denn die wird – parallel zur immer aufwendigeren Gestaltung der Spiele selbst – immer wichtiger, professioneller und interessanter. Denn seit einigen Jahren gehört inzwischen zu jedem großen Videospiel ein vernünftiger Orchestersoundtrack dazu.
Im Vergleich zur herkömmlichen Filmmusik aber gibt es einen entscheidenden Unterschied. Es wird wesentlich mehr Musik benötigt. Weil die Gamer 20 Stunden oder mehr in virtuellen Welten verbringen, müssen Videospielmusik-Komponisten eher drei bis vier Stunden an musikalischem Material liefern.
Als wichtige Vertreter wären hier zu nennen: Michael Giacchino, der mittlerweile Musik zu „Star Wars“ und „Star Trek“, zu einigen Pixar-Filmen und vielen weiteren Blockbustern geschrieben hat und in Hollywood eine der größten Nummern und einer der begehrtesten Komponisten zurzeit ist, der seine Karriere aber mit dem Schreiben von Videospielmusik begonnen hat; der vielleicht erfolgreichste und bekannteste Game Music-Schreiberling Kōji Kondō („Super Mario“), sein japanischer Kollege Nobuo Uematsu („Final Fantasy“) oder der überaus begabte und ebenfalls extrem erfolgreiche Jeremy Soule („Elder Scrolls: Skyrim“).
Insofern werden wir das Feld der Game Music natürlich weiterhin aufmerksam im Blick haben. Auf unserem Streamingdienst Klassik Radio Select haben wir bereits einen eigenen Channel mit den schönsten Videospiel-Soundtracks bestückt – und werden ihn natürlich mit vielen zukünftigen Highlights füllen.
Florian Schmidt
Der Filmexperte bei Klassik Radio. Es gibt kaum einen Film oder eine Serie, die er nicht gesehen und analysiert hat. Als Filmredakteur hat er in den letzten Jahren viele Interviews mit allen möglichen Menschen der Filmwelt geführt: Von Schauspielern über Regisseure bis hin zum Filmkomponist.