Jeden Freitag um 09:40 Uhr und 16:10 Uhr kommentiert Klassikexperte Axel Brüggemann das Geschehen aus Klassik und Kultur.
Es wurde viel telefoniert in den letzten Tagen – wie konnte es passieren, dass einer der wichtigsten Dirigenten abgesägt wird – einfach so? Wie konnte es passieren, dass Christian Thielemann seine Staatskapelle Dresden 2024 verlassen muss. Ausgerechnet jener Dirigent, vor dem so viele niederknien und sein Genie verehren?
Inzwischen scheint klar: Thielemann hat sich verkalkuliert. UND: Er wurde selbst von der Nicht-Verlängerung seines Vertrages überrascht. Am Montag wurde ihm die Entscheidung vom sächsischen Ministerpräsidenten mitgeteilt. Aus heiterem Himmel.
Aus heiterem Himmel? Offensichtlich nicht ganz. Rückblende: Die letzte Vertragsverlängerung Thielemanns ging schon nicht ganz ohne Reibereien über die Bühne. Das Orchester wurde um seine Meinung gefragt, war zunächst gespalten, entschied sich dann aber für Thielemann – mit der Begründung: so könne man einen geeigneten Kandidaten für 2024 suchen.
Daran scheint sich jetzt selbst in der Kapelle niemand mehr erinnern zu können. Sehr wohl aber die Kulturministerin von Sachsen. Denn sie argumentiert, nicht ganz zu unrecht: „Ihr habt es doch selber so gewollt.“
Es handelt sich also um eine politische Entscheidung. Aber auch um eine Entscheidung mit vielen Anlässen. Da war Thielemanns Personalpolitik: peu à peu demontierte er alle, die seine Kapelle einst aufgebaut hatten: Pressesprecher, Chefdramaturg und Intendant. Die Leute, die er holte waren in der Regel: schwach.
Und dann zettelte Thielemann noch einen Streit mit dem – zugegeben ebenfalls schwierigen Semperopern-Intendanten Peter Teihler an. Zwei Alpha-Männer, die ebenfalls erst durch die Politik zur Raison gerufen werden mussten.
Ihr habt es doch selber so gewollt.
Sachsens Kulturministerin Barbara Klepsch
Aber Thielemann hatte noch immer nicht genug. Obwohl er schon in Berlin und in München gehen musste, und allein im letzten Jahr bei den Salzbuger Osterfestspielen und als Musikdirektor in Bayreuth rausgeworfen wurde (stets auf Grund seines Dickkopfes), glaubte er, dass er in Dresden unverzichtbar sei. Soll sogar mit einer Vertragsverlängerung auf Lebenszeit spekuliert haben.
Statt alles zu bekommen hat er nun alles verloren. Dabei ist die Schlussfolgerung doch ziemlich einfach: Es schließt sich nicht aus, dass Thielemann ein hundsmiserabler Chef ist, kein Orchester-Manager, kein Diplomat, und dass er gleichzeitig ein genialer Dirigent – zumindest für Strauss und Wagner ist. Kleiner Einschub: er ist auch kein guter Manager seiner eigenen Kunst, sonst hätte er nicht auf die Deutsche Grammophon als Platten-Partner und auf die Unitel als exklusiven Video-Partner gesetzt, die es bis heute nicht geschafft haben, seine genialen Live-Momente angemessen zu dokumentieren.
All das ist jetzt egal: Vielleicht ist es eine Chance für Thielemann, frei von Verantwortung zu sein – und sich voll und ganz der Musik widmen zu können. Klar, er ist ein Machtmensch – aber als Musikmensch ist er einfach besser.
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