"Klavierspiel besteht aus Vernunft, Herz und technischen Mitteln. Alles sollte gleichermaßen entwickelt sein."
Er gilt als einer der berühmtesten Klaviervirtuosen des 20. Jahrhunderts. Die Rede ist vom Pianisten Vladimir Horowitz. Er wurde am 1. Oktober 1903 im Stetl von Berditschew in der russischen Ukraine geboren. Andere Quellen nennen Kiew als Geburtsort. Er stammte aus einer jüdischen Familie. Den ersten Klavierunterricht erhielt er bereits mit sechs Jahren von seiner Mutter Sophie, einer Amateurpianistin. Er stammt aus einer großen Familie mit drei Geschwistern, welche alle musikalisch unterrichtet worden sind. Das Naturtalent besuchte bereits während seiner Schulzeit das Konservatorium in Kiew. Dort studierte er Klavier und Komposition, wobei er von Vladimir Puchalsky, Sergei Tarnowsky und Felix Blumenfeld unterrichtet wurde.
Zu Beginn seiner Karriere wollte er eigentlich Komponist werden. Durch die politische Lage in der damaligen Sowjetunion, geprägt vom ersten Weltkrieg und der Oktoberrevolution, sah er sich jedoch dazu gezwungen, den Weg als Pianist einzuschlagen. Die finanzielle Lage seiner Familie verschlechterte sich aufgrund der politischen Umstände, weswegen er mit dem Versuch sich durch sein Klavierspiel etwas dazuzuverdienen durch Russland reiste. Damit erzielte er allerdings nur minimalen finanziellen Gewinn. Nach vier wenig erfolgreichen Jahren zwischen 1921 und 1925 verließ Horowitz schließlich die Sowjetunion, um mit seinem Freund Alexander Markowitsch nach Berlin zu reisen. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass er viele Jahre später nur noch seinen Vater als einzig verbliebenen seiner Familie wieder sehen würde.
Sein erstes Konzert im Ausland hatte er als Solist im 1. Klavierkonzert von Tschaikowsky mit dem Berliner Symphonie-Orchester unter Oskar Fried im Dezember 1925 in Berlin. Im folgenden Jahr spielte Horowitz drei Klavierabende im Beethoven-Saal der Berliner Philharmonie, welche sich als großer Erfolg entpuppten und herausragende Kritik ernteten. Ohne Probe sprang er am 19. Januar 1926 in Hamburg für einen erkrankten Kollegen ein und vertonte das b-Moll-Konzert von Tschaikowsky. Daran schloss sich ein weiterer Klavierabend mit Vladimir Horowitz in Hamburg an und viele weitere Konzerte in Städten Deutschlands, der Schweiz, Italien und Frankreich wurden durch ihn besetzt. Für die Freiburger Fima M. Welte & Söhne spielt Horowitz zwölf Stücke für ihr Welte-Mignon-Reproduktionsklavier ein, worunter sich eine seiner ältesten Aufnahmen befand: Horowitz‘ Moment exotique (Danse excentrique). Am 25. Oktober 1926 ist der Pianist zum ersten Mal zu Gast bei den Berliner Philharmonikern und präsentiert dort das A-Dur-Konzert von Liszt unter Wilhelm Furtwängler. Auch dort tritt er zwei weitere Male auf und spielt einmal Tschaikowskis b-Moll-Konzert unter Bruno Walter und das andere Mal das 2. Klavierkonzert von Brahms, erneut unter Furtwängler.
Seine Liebe zu den USA entwickelt er ab 1928. In diesem Jahr am 12. Januar debütiert Horowitz in der Carnegie Hall mit den New Yorker Philharmonikern unter Thomas Beecham. Drei Jahre später spielt er dort Klaviertrios von Beethoven, Brahms und Rachmaninow und gibt in New York City erstmals ein Konzert mit Arturo Toscanini, dessen Tochter Wanda er 1933 heiratet. Vladimir Horowitz und Wanda Toscanini Horowitz‘ Vater musizieren häufig zusammen und zeichnen zwei gemeinsame Schallplatten auf. In der Ehe mit Wanda war Horowitz der ruhige Part und seine Frau berühmt für ihr Temperament. Womöglich war dieser Gegensatz aber genau das, was sie zusammenhielt. Sie bekommen eine gemeinsame Tochter Sonya, die allerdings bereits 1975 auf tragische Weise verstirbt. Vladimir Horowitz‘ Tochter kommt wegen einer Überdosis Schlaftabletten um.
Ab 1936 zeigen sich bei Horowitz bereits die ersten Ausläufer seiner Depression, mit der er zeitlebens zu kämpfen hatte. Von 1934 bis 1938 lebt er in Paris, um sich eine Auszeit vom Showbiz zu nehmen, doch die Liebe zur Musik und die des Publikums holen ihn immer wieder zurück auf die Bühne. 1939 übersiedelt er wegen der politischen Entwicklung in Europa endgültig in die USA. Dort erhält er fünf Jahre später die amerikanische Staatsbürgerschaft und macht New York City zum neuen Dreh- und Angelpunkt seines Lebens. Die meisten seiner Werke entstanden dort, allerdings begleitet von zahlreichen nervlichen Krisen und krankheitsbedingten Rückzügen. Sein letztes Konzert gibt er 1987 in Hamburg, woraufhin Vladimir Horowitz‘ Biografie zwei Jahre später ein Ende nimmt. Er stirbt an den Folgen einer Herzattacke.
Der Kern seines Repertoires lag in der Hoch- und Spätromantik – eben bei Liszt, Chopin, Rachmaninov und Schuman. Horowitz war für fast jede Stilrichtung offen – bekannt sind seine Bach interpretationen und klassischen Auslegungen der Bachsonaten und derer von Wolfgang Amadeus Mozart. Zu Beginn seiner langen Kariere hebt er sich durch seine spektakuläre Technik hervor. In zunehmendem Alter war es die Fülle seiner Interpretationen – sein Talent die kleinsten Formen herauszuarbeiten.
(L. Weißenberger)