Seine Kompositionen waren gewagt und ungewohnt. Zumindest so lange, bis sein Schaffen vom politischen Zeitgeschehen des 20. Jahrhunderts eingeschränkt wurde.
Sergei Sergejewitsch Prokofjew war ein sowjetischer Pianist und Komponist und gehörte zu den früheren Vertretern eines sowjetisch-russischen Nationalstils. In seinen 61 Lebensjahren komponierte er zahlreiche Musikstücke: Darunter fallen 14 Opern, 11 Sinfonien, 9 Ballette, 4 Stücke für Schauspielmusik, sowie zahlreiche Orchester-, Klavier-, Vokal-, und Chorwerke. Das Musikmärchen „Peter und der Wolf“ von Prokofjew zählt zu den weltweit am meisten gespielten Werken der klassischen Musik. Seine Biografie wie auch seine Musik ist geprägt von den unruhigen Zeitläufen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aufgrund verschiedenster politischer Einflüsse, sowohl aus Ost als auch aus West, war Sergei Prokofjews Musikstil von einer 180-Grad-Wendung gezeichnet. Sein Leben lässt sich grob in drei Schaffensphasen unterteilen, welche mit den verschiedenen Lebensabschnitten Prokofjews Hand in Hand gehen.
Wann ist Sergei Prokofjew geboren? – Diese Frage lässt sich gar nicht so leicht beantworten. Nach dem gregorianischen Kalender erblickte Sergei Sergejewitsch Prokofjew am 23.04.1891 die Welt. Als Sohn eines Gutsverwalters wurde er auf dessen Landgut in Bachmut (heute Krasne) im russischen Kaiserreich, der heutigen Ostukraine, geboren. Richtet man sich allerdings nach dem damals noch in dieser Region verwendeten julianischen Kalender, beläuft sich Prokofjews Geburtstag auf den 11. April desselben Jahres.
Bereits im Alter von vier Jahren macht sich Sergei Prokofjews außerordentliches musikalisches Talent bemerkbar, als ihn seine Mutter im Klavierspielen unterrichtet. Ein Jahr später schreibt der damals 5-Jährige seine erste Komposition. Der Komponist Reinhold Glière, welcher Prokofjew in den Jahren 1902 und 1903 Privatunterricht gibt, stellt den Jungen Alexander Glasunow vor, einem Komponisten, der eine Professur für Instrumentation am St. Petersburger Konservatorium leitete. Auf dessen Empfehlung beginnt Sergei Sergejewitsch Prokofjew im Alter von 13 Jahren sein Musikstudium am Konservatorium in St. Petersburg, wo er unter anderem von Nikolai Rimskij-Korsakow und Anatoli Ljadow unterrichtet wird. 1914 schließt er sein Studium erfolgreich ab.
Ab 1908 gibt Prokofjew regelmäßig Konzerte am Klavier und präsentiert dabei bereits unter anderem seine selbst komponierten Stücke. Es gelingt ihm, sich einen Namen als brillanter Pianist zu machen und etabliert sich bereits als junger Mann innerhalb der zeitgenössischen Musikszene im zaristischen Russland vor und während des ersten Weltkriegs.
Wegen der schwierigen Situation nach der Oktoberrevolution und um sein Glück in Amerika zu versuchen, verlässt Prokofjew Russland und zieht 1918 in die USA. Da es ihm künstlerisch nicht geling dort Fuß zu fassen, erweist sich seine Entscheidung bereits nach zwei Jahren als finanzieller Fehlschlag, woraufhin er sich in Frankreich niederlässt. In den folgenden Jahren lebte Sergei Prokofjew überwiegend in der französischen Landeshauptstadt. Hier gelingt es ihm schließlich, sich in der Pariser Avantgarde als erfolgreicher Komponist zu etablieren. Mit fünf Auftritten bei den Weltmusiktagen der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (1923 in Salzburg, 1924 in Prag, 1928 in Siena, 1946 in London, 1947 in Kopenhagen/Lund) gehört Prokofjew zu den meistaufgeführten Komponisten. 1923 heiratet er Carolina Codina, eine spanische Sängerin, die unter dem Künstlernamen Lina Llubera bekannt ist. Seine vielfältigen und erfolgreichen Konzertreisen als Dirigent und Pianist lassen ihn einige Jahre zwischen Moskau und Paris hin und her pendeln, woraufhin er im Jahr 1936 zurück in seine Heimat zieht und in Moskau sein neues zu Hause findet.
In der Sowjetunion begann in jenem Jahr seiner Rückkehr die erste große stalinistische Säuberungswelle, welcher zahlreiche sowjetische Künstler durch Schauprozesse, Hinrichtungen, Denunziationen und Deportationen zum Opfer fielen. Aufgrund dessen machte sich in Sergei Sergejewitsch Prokofjews Kompositionen ein deutlicher Stilwandel bemerkbar: Er beruft sich ab diesem Zeitpunkt vor allem darauf, was im Sinne des sozialistischen Realismus als „zugänglich“, „volksnah“ und „antiformalistisch“ verstanden wurde. Seinen Kompositionsstil modifiziert er, indem er die Melodik seiner Werke wieder enger an die russische Tradition anpasst. Nichtsdestotrotz wird er aufgrund seiner Oper „Die große Freundschaft“ 1948 vom Zentralkomitee der KpdSU beschuldigt, er sei ein von westlichen Ideen infizierter Formalist und zu größerer Volkstümlichkeit aufgefordert. Auch seine nach den Vorgaben der offiziellen Instanzen komponierte Oper „Erzählung vom wahren Menschen“ (1948) findet keine Billigung. Dieser Konflikt und die Kriegsjahre zehren an seinen Kräften. Dennoch erlebt er in der Sowjetunion seine größten Erfolge. Viele von Sergei Sergejewitsch Prokofjews berühmten Werken, wie das Ballett „Romeo und Julia“ (1940), das Märchenmelodram „Peter und der Wolf“ (1936) oder auch die Filmmusik zu „Alexander Newski“ (1938) entstanden in dieser dritten Schaffensphase.
1941 trennt er sich von seiner Familie und zieht zu Mira Mendelson, die er sieben Jahre später ehelicht. Im selben Jahr beginnt Sergei Prokofjew mit der Komposition der Oper „Krieg und Frieden“, an der er bis zu seinem Tod arbeitet. Diese Zeit ist begleitet von einer immer stärker nachlassenden Gesundheit. Aufgrund eines schweren Sturzes 1945 zieht er sich eine Gehirnerschütterung zu, mit deren Folgen er bis zu seinem Lebensende zu kämpfen hat. Dennoch bleibt er bis zu seinem Tod am 05.03.1953 in Moskau unermüdlich. Da er sich seinen Todestag mit Stalin teilt, wird sein Tod von der landesweiten Trauer um den verstorbenen Diktator in den Schatten gestellt. Nicht einmal Blumen fanden sich an seinem Grab. Sergei Sergejewitsch Prokofjews „Krieg und Frieden“ wird vier Jahre nach dem Tod des Komponisten im Jahr 1957 uraufgeführt.
Sergei Sergejewitsch Prokofjew selbst beschrieb seine Schaffensphasen als durchzogen von vier Linien: Die neoklassizistische, die moderne, die motorische und die lyrische Linie. Seine „klassische Linie“ machte sich einerseits durch sein Interesse für historische Elemente, wie zum Beispiel alte Tänze, und andererseits durch das Festhalten an traditionellen Formen bemerkbar. Eigentlich komponierte Prokofjew nur seine „klassische Sinfonie“ neoklassizistisch, da er den Neoklassizismus als Verzicht auf eigenständige Tonsprache beurteilte. Die moderne Linie bezieht sich auf Prokofjews Vorliebe für sprunghafte und gewagte Harmonik, Dissonanzen und ungewohnte Akkordkombinationen, welche häufig bis an die äußersten Grenzen der Tonalität führten. Viele seiner Werke kennzeichnen sich durch eindringliche Rhythmik und wilde Motorik, was sich in die motorische Linie einordnen lässt. Gegensätzlich dazu gelang es ihm in seiner lyrischen Linie Momente von herber Lyrik und leiser Resignation zu schaffen und ausdrucksstarke Melodien zu komponieren.
Dieser Aufzählung lässt sich hinzufügen, dass auch Humor und Ironie in seinem Schaffen nicht zu kurz kamen. Seinen Orchesterwerken verlieh er einen spezifischen Klang durch eine ungewöhnliche Instrumentierung, beispielsweise durch das Unisono-Spielen von Violinen und einer Tuba.
(L. Weißenberger)