Normalerweise singen die Benediktinerinnen für sich: Durch eine App haben sie die größte digitale Sammlung an gregorianischen Gesängen geschaffen. Pünktlich zu Pfingsten ist sie nun komplett.
Denn John Anderson, ein US-Musiker, Pianist und Produzent hat den Gesang der Schwestern drei Jahre lang täglich aufgenommen, digitalisiert und in einer App zur Verfügung gestellt. Auf die Idee kam er, als er seine mysteriöse Tante Becky besuchte. Die war Benediktinerin in einem Kloster in der Provence und eine Familienlegende. Nach der Highschool beschloss John, sie endlich einmal kennenzulernen und brach aus den USA nach Frankreich auf. Nachdem er das versteckte Kloster in der Nähe von Aix-en-Provence gefunden hatte, wurde er in der Abtei Notre Dame de Fidélité warmherzig empfangen.
Als er zum Studium nach Oxford zog, verbrachte er die Semesterferien immer wieder bei seiner Tante. Da die Ordensfrauen ein Gästehaus betreiben, war es möglich, auch als Mann und Ordensfremder dort zu bleiben. "Es war wie Familie für mich und der Ort einfach perfekt, um zu lesen und zu lernen", erklärt John Anderson. "Es ist so, als habe man viele Mütter - aller kümmern sich um einen. Ein 'Home away from Home'" Vor allem faszinierte den damaligen Musikstudenten der gregorianische Gesang der Schwestern.
Allerdings fand er es sehr schwer, ihm zu folgen - denn die Texte sind auf Latein und es gibt eine komplizierte Reihenfolge, wann welche Stelle aus den zahlreichen Büchern vorgelesen wird. Schon damals schoss ihm die Idee durch den Kopf, ob sich das Ganze nicht durch eine App vereinfachen ließe.
Um die Nonnen davon zu überzeugen, brauchte er allerdings einen langen Atem - insgesamt sieben Jahre Überzeugungsarbeit waren nötig. Zum einen leben die Schwestern in einer abgeschotteten Gemeinschaft. Dort Techniker und Technik zuzulassen und über drei Jahre lang in ein Mikrofon vor der Nase zu singen, kostete sicher Überwindung. Zum anderen hatten die Nonnen Sorge, ihr Gesang sei nicht perfekt genug.
Tatsächlich dürfe man keine Studienaufnahmen mit geschulten Stimmen erwarten, so John Anderson, doch genau das mache die Einzigartigkeit und das Menschliche an diesem Projekt aus. Man höre das Knarzen der Bänke, das Umblättern der Seiten und ab und an auch eine Schwester niesen. Das sei lebendig und man bekomme den Eindruck einen Blick hinter die Klostermauern werfen zu können.
Das hat die Gemeinschaft wohl schließlich überzeugt. Schließlich geht es bei ihrem Gesang nicht um Performance, sondern ist als ein Gebet zu verstehen, dass der ganzen Welt gewidmet ist. Abgesehen davon, kann der Gesang beruhigen, entspannen und manchmal sicher auch trösten. Diese Erfahrung hat John Anderson gemacht, als er seinen Vater und dann seine Mutter verlor: er habe keine Musik hören können, außer den gregorianischen Gesängen, erzählt er.
Drei Jahre lang hat John Anderson täglich bis zu sechs Stunden die Gesänge der Nonnen aufgenommen. Entstanden ist daraus die größte digitale Sammlung gregorianischer Gesänge. Pünktlich zu Pfingsten ist nun auch der letzte Gesang des dreijährigen liturgischen Zyklus auf der App zu hören. Die bietet noch ein besonderes Feature: Man bekommt für den jeweiligen Tag die passenden Gesänge präsentiert und kann sie ggf. in seiner jeweiligen Sprache mitlesen und so verstehen. Die Basis-Version der App ist kostenlos, die Einnahmen der Premium-Variante kommen u.a. einer Klosterfiliale in Afrika zu Gute.
Jahrelang ist John Anderson trotzdem nicht im Kloster geblieben - nach einer anfänglichen Einweisung haben es die Nonnen geschafft, selbst den Aufnahme- und Stopp-Knopf zu drücken und die Aufnahmen am Ende des Tages hochzuladen. "Und sie haben bisher noch keinen Fehler gemacht", meint John mit einem Augenzwinkern.
(09.03.2021/K. Jäger)