„Einen guten Musiker erkennt man an dem, was er stiehlt“ sagte der Pianist Friedrich Gulda. Seit jeher werfen sich Komponisten gegenseitig Melodienklau vor.
Heute bewahrt das Urheberrecht jeden Künstler davor, dass dessen Werke hemmungslos abgeschrieben und vervielfältigt werden. Die Idee eines solchen Schutzes vor Plagiaten existiert seit dem Mittelalter. Nur in der Praxis funktionierte das lange nicht so richtig: Die Komponisten Bellini und Donizetti waren eigentlich gute Freunde, aber manchmal hatten sie sich in den Haaren, wenn der eine vom anderen behauptete, er habe ein Melodiethema geklaut.
Manchmal aber war es auch einfach ein Zeichen der Anerkennung, wenn ein Komponist seinen Kollegen zitierte oder Variationen über ein Thema von ihm schrieb. So beginnt beispielsweise Frédéric Chopin seine erste Klaviersonate op.4...
...mit den Anfangsnoten einer Invention von Johann Sebastian Bach.
Da Bachs Tod zu dieser Zeit schon sehr lange zurückliegt, darf diese Geste wohl als Hommage an Chopins Idol gewertet werden.
Bach und Beethoven, die großen Bs der klassischen Musik, wurden wohl öfter kopiert, variiert und abgeändert als sonst jemand. Nicht nur, dass Beethovens „Mondscheinsonate“ von En vogue & Robert Groslot in „Sad but true“ (der Titel ist übrigens von Metallica geklaut…) „vergospelt“ wurde...
Franz Schubert lehnt den Beginn seines Kunstliedes „An den Mond“ D. 193 an den Beginn der „Mondscheinsonate“ an. Er greift damit die Stimmung des 18 Jahre älteren, berühmten Klavierstücks auf ohne das Thema abzuschreiben – ein wahrer Kunstgriff des musikalischen Zitierens.
Georg Friedrich Händel war ganz groß darin bei sich selbst abzukupfern. Den Arienschlager „Lascia ch'io pianga“ schrieb Händel drei Mal von sich ab. Hier eine frühere Variante mit Cecilia Bartoli:
Händel soll zu einem ähnlichen Fall gesagt haben: „Wäre doch schade um die schöne Melodie!“ In diesem Fall blieb die Musik dieselbe, nur den Text ließ Händel jeweils anpassen. Diese Arbeitstechnik nennt man Kontrafraktur und sie war sehr verbreitet; Bachs „Weihnachtsoratorium“ besteht beinahe vollkommen aus Kontrafrakturen.
In der Popmusik ist Covern ja nichts Besonderes mehr, Bob Dylan dürfte zu den meistgecoverten Musikern des 20. Jahrhunderts gehören. Jazz und Popmusik greifen ab und zu gerne auch auf klassische Musik zurück. So macht es zum Beispiel Eugen Cicero mit der Musik der Familie Bach.
Oder Billy Joel, der in seinem Song „Leningrad“ das Thema aus Tschaikowskys Violinkonzert zitiert. Billy Joel war der erste amerikanische Künstler, der nach dem Mauerfall in der ehemaligen Sowjetunion, genauer gesagt in Leningrad, auftrat. Allein, dass er den bekanntesten russischen Komponisten in seinem Freundschaftslied zitiert, spricht schon Bände. Das Abschreiben ist präsent, egal in welchem Jahrhundert und in welchem Musikgenre.
Leningrad von Billy Joel:
Tschaikowskys Violinkonzert:
Tschaikowsky hat übrigens - wie viele andere Musiker auch - ungewöhnliche Instrumente genutzt. Eine Tatsache, die Billy Joel allerdings nicht "geklaut" hat.