Sommerliche Erinnerungen, tiefe Emotionen und die Magie der Musik – Ludovico Einaudi spricht über sein neues Album "The Summer Portraits", die Inspiration dahinter und warum der Sommer ihn sein Leben lang begleitet. Ein persönliches Gespräch über Freiheit, Natur und die Kraft der Klänge.
Ludovico Einaudi gehört zu den bekanntesten und einflussreichsten Komponisten der Gegenwart. Mit seinen minimalistischen, gefühlvollen Melodien hat er ein Millionenpublikum erreicht – von Filmmusik für "Ziemlich beste Freunde" bis zu ausverkauften Konzerten weltweit. Der italienische Pianist verbindet klassische Elemente mit modernen Klängen und schafft so eine Musik, die tief berührt.
Anlässlich der Veröffentlichung seines neuen Albums "The Summer Portraits" am 31. Januar 2025 hat Klassik Radio-Moderatorin Evita Helling den Künstler in Berlin getroffen. Im Interview spricht Einaudi über seine musikalischen Wurzeln, die Entstehung des Albums und darüber, warum die Sehnsucht nach dem Sommer ihn bis heute inspiriert.
Klassik Radio: Wenn Sie das Klavier spielen, tauchen Sie ganz in Ihrer eigenen Welt ein. Wie gelingt Ihnen das?
Ludovico Einaudi: Es ist nicht einfach und passiert auch nicht immer. Wenn alles gut läuft, verliere ich mich komplett in der Musik. Natürlich ist das ein Zustand, den du immer erreichen möchtest, wenn du spielst. Manchmal passiert es, manchmal nicht. Aber ich habe noch nicht entdeckt, warum.
Klassik Radio: Was ist die Geschichte hinter Ihrem Album „The Summer Portraits“?
Ludovico Einaudi: Es begann so: Ich war letztes Jahr mit meiner Familie auf einer Insel in Italien. Unser Ferienhaus war am Meer, und doch von vielen Bäumen umgeben. Ich bin ins Haus gegangen und habe mir ein paar der Bilder an den Wänden angesehen. Und die waren besonders: Da war etwas sehr Spezifisches; mit Persönlichkeit. Sie waren sehr schön, alle Öl auf Holz, und zeigten die Details der Umgebung in der Natur.
Die Bilder waren sich alle ähnlich, definitiv von ein und derselben Person gemalt und ich wollte wissen von wem. Also habe ich die Besitzer gefragt. Sie haben mir erklärt, dass das Haus in den 50ern einer Familie gehört hat und die Mutter diese Bilder gemalt hat. Diese Geschichte hat mir etwas eröffnet: Ich hatte eine Vorstellung von dieser Familie, von den Sommern.
Das hat mich dazu gebracht mich mit den Sommerferien und mit meiner Familie zu befassen. Diese Zeit war sehr wichtig für mein Leben. Es ist eine Zeit, in der man nicht lernt, wie man lebt. Man erlebt die Welt und die Natur direkt: Die Lichter, das Wasser, die Seen, die Zeit mit deinen Freunden, mit deinem Fahrrad, mit dem Fallen und dem Schmerz, mit dir selbst. Wenn du spät nachts wach bleibst, bist du völlig frei.
Meine früheren Tage waren sehr wild, und ich hatte keine Verpflichtungen. Ich denke, ein Teil von dem, was ich bin, ist mit dieser Zeit des Jahres, mit den Sommern, so eng verbunden, dass ich mich immer daran erinnern werde. Ich dachte, das ist ein schönes Thema.
Klassik Radio: Das Album kommt am 31. Januar raus, mitten im Winter. Warum ausgerechnet jetzt?
Ludovico Einaudi: Es hat keinen spezifischen Grund, aber ich finde, es ist ein schöner Moment, um zu sagen, dass der Sommer kommen wird. Im Januar nach Weihnachten, gibt es immer eine Art Winterdepression. Es ist ein Moment, in dem man sich wieder das Licht zurück wünscht.
Ich finde es schön, diese Sommerporträts zu haben, die sagen: „Wir werden bald da sein.“ Es ist wie ein Gipfel von Hoffnung. Der Sommer kommt.
Klassik Radio: Was macht einen Sommer einzigartig?
Ludovico Einaudi: Das Licht, das Wasser, die Zeit mit der Familie und den Freunden. Dass man drei Monate einfach mal keine Schuhe tragen muss. Und auch das Essen, gerade bei mir zuhause in Italien: Basilikum, Pesto, Tomaten, Karotten. All das frische Gemüse. Alles riecht so gut. Es ist die innige Verbindung mit der Erde.
Klassik Radio: Wenn Sie ein Teil der Natur werden könnten, welche Form würde Sie annehmen?
Ludovico Einaudi: Ich liebe die Idee eines Baums. Du sinkst in den Boden, du entdeckst wie verbunden du mit den anderen Pflanzen und der Welt bist. Aber auch Wasser fände ich interessant. Ein Fluss zum Beispiel. Du könntest durch das Land reisen, nimmst alles mit: Das Meer, die Seen… Wie ein Kreis, du kannst es wieder und wieder machen.
Klassik Radio: Das Album erinnert vom Konzept an Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“. Gibt es eine Verbindung zu diesen Stücken?
Ludovico Einaudi: Ich liebe Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“, nur dachte ich an diese Verbindung erst später. Im Verlauf des Schreibens habe ich die Beiden nicht verbunden, aber ich mag das. Es ist eine wunderschöne Komposition, und ich hoffe, dass „The Summer Portraits“ in Zukunft so wie die „Bilder einer Ausstellung“ geliebt werden. Von der Idee passen sie auf jeden Fall zusammen.
Klassik Radio: Wie verlief der Entstehungsprozess? Müssen Sie einen bestimmten Zustand erreichen, um zu komponieren?
Ludovico Einaudi: Nicht wirklich, aber ich kann nicht vor einer leeren Seite sitzen und mich dazu zwingen. Es muss natürlich kommen. In den letzten Jahren kommen mir die meisten Ideen, wenn ich die Welt bereise. Dann erstelle ich Skizzen und arbeite diese später aus.
Klassik Radio: Können Sie uns die Entstehung von einem Stück erklären?
Ludovico Einaudi: Am Einfachsten ist das wahrscheinlich beim ersten Stück auf dem Album: „Rose Bay“.
Die Idee eines Albums existierte noch gar nicht, als ich im Sydney Opera House, in Australien, war. Ich war also dort und schaute aus dem Fenster. Ich sah das Wasser mit den Booten und ich habe an meine persönliche Verbindung zu Australien gedacht: Mein Großvater mütterlicherseits hat dort gelebt. Ich habe immer die Geschichten von ihm gehört, von meiner Mutter, die ihn ihr ganzes Leben vermisst hat. Deswegen habe ich dort Familie, Tanten und Onkel, die ich, immer wenn ich da bin, besuche und so bin ich mit Australien immer emotional verbunden.
In der Oper habe ich dann angefangen „Rose Bay“ zu schreiben. Nach der Tour habe ich fünf Monate lang Pause gemacht und mich mit meinen musikalischen Skizzen beschäftigt. Also nahm ich das Stück, das ich in Sydney komponierte und sagte: lass uns schauen was daraus wird.
Es ist ein wunderschöner Moment, zu erleben, wie aus diesen Einzelteilen ein Bild entsteht. Aber man sieht es wirklich erst, wenn man es teilt und die Leute es hören. Erst dann verstehe ich das Gefühl, wenn ich sehe, wie Leute drauf reagieren. Und wenn ich live spiele, verändere ich auch noch mal einiges: neue Teile, neue Emotionen.
Klassik Radio: Ein neues Stück “Pathos” erinnert vom Stil sehr an Ihr berühmtes Stück „Experience“, gibt es da eine Verbindung?
Ludovico Einaudi: Auf eine Gewisse Art und Weise sind die Stücke Brüder. Sie teilen eine Tonart, aber die harmonische Progression ist anders. Beide sind Violinen-Explosionen, aber mit verschiedenen Stimmungen. „Pathos“ erzeugt Licht, Freude, während in „Experience“ eine gewisse Melancholie zu finden ist.
Klassik Radio: Sie haben vorher schon mal Ihren Großvater erwähnt, der ja auch in der Musik tätig war…
Ludovico Einaudi: Ja, er hat vor Puccini „La Rondine“ dirigiert. Und Puccini war offensichtlich sehr glücklich über die Interpretation. Leider war es für ihn nicht möglich, mehr in diese Richtung zu tun, denn er musste erst nach England und dann nach Australien auswandern. Aber sogar Prokofiev mochte meinen Großvater. Ich habe ein Autogramm von ihm - natürlich an meinen Großvater gerichtet.
Klassik Radio: Gibt es einen klassischen Komponisten, der Sie inspiriert? Haben Sie ein großes Idol?
Ludovico Einaudi: Verschiedene: Wenn ich eine Dosis Spiritualität brauche, dann höre ich Bach. Ansonsten höre ich sehr gerne die Beethoven-Sinfonien, besonders die 4. Beethovens Sinfonien haben eine Ernsthaftigkeit und Macht, die einmalig ist. Ich liebe Beethoven. Seine Musik ist immer tiefgründig. In Zukunft möchte ich auch etwas Großes schreiben, so, wie Beethoven, damit ich zurückgeben kann, was er mir gegeben hat.
Klassik Radio: Und das neue Album wurde vom Barock inspiriert?
Ludovico Einaudi: Zum großen Teil von Vivaldi und auch vom Album „The Mad Lover“. Den Violinisten des Albums, Theótime Langlois de Swarte, habe ich auch für „Pathos“ eingeladen. Wunderbare Barock-Musik und doch modern: eine riesige Inspiration.
Klassik Radio: Es ist viel los in der Welt. Was wünschen Sie sich für Ihre Musik in diesen Zeiten?
Ludovico Einaudi: Ich hoffe, dass meine Musik den Menschen hilft, ihre Seele zu heilen. Die Musik kann dir eine Vision einer besseren Welt geben.
Ich verstehe, dass es eine sehr schwierige Zeit ist, aber ich bin nach einem großen Krieg aufgewachsen. Ich habe nie Krieg gesehen und dachte, diese Zeit sei für immer vorbei. Aber dem ist nicht so. Hoffentlich hilft meine Musik anderen Menschen, besser zu denken. Hoffnung in Form von Musik - das ist es, was ich mir immer wünsche
Klassik Radio: Vielen Dank für das Interview.
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