Weißer Rauschebart, lange weiße Haare, voluminöse Gestalt. Eine imposante Erscheinung ist der Dirigent Leif Segerstam auf jeden Fall.
Sowohl visuell als auch aufgrund seiner vielen musikalischen und intellektuellen Fähigkeiten. Zu seinem 78. Geburtstag habe ich mit dem sehr sympathischen und gut aufgelegten Finnen in seiner Heimatstadt Helsinki telefoniert. Segerstam spricht sieben Sprachen, darunter auch Deutsch. Das, erzählte er mir, hat er in seiner Zeit als Chefdirigent beim ORF-Symphonieorchester in Wien und der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz gelernt.
Natürlich haben wir über die immense Anzahl an Sinfonien gesprochen – aktuell arbeitet er an der Nummer 350. Bei all diesen Werken verarbeitet er aktuelle Geschehnisse, einige seiner letzten Sinfonien sind von der Corona-Pandemie inspiriert worden. Auch die Nummer 350, die – wie alle seine Sinfonien – eine lange Titelbeschreibung bekommen hat. Sie soll „Tonechooseries postcoronally - Doublejabbed with valid coronapass - unicorona" heißen.
Viele seiner Sinfonien sind bombastisch – und oft sind alle Orchestergruppen gleichzeitig beschäftigt und streichen, tuten, und rasseln um die Wette. Nur das Dirigentenpult bleibt auffallend leer. Denn, so sagt Segerstam, man könne seine Musik einfach nicht dirigieren, dazu bräuchte man so viele Arme wie ein Tintenfisch.
Eigentlich müsste er mit dieser Anzahl an Sinfonien als Weltrekordhalter im Guinness-Buch der Rekorde stehen und es gab auch schon diverse schriftliche Versuche, Segerstam als Rekordhalter offiziell vermelden zu lassen. Aber bislang gibt es einfach keine Kategorie im Guinness-Buch, die diese Leistung abbilden würde.
Eine Art musikalisches Tagebuch nennt er seine mittlerweile fast 350 Sinfonien – zu deren sowieso schon sehr beeindruckenden Anzahl noch 7 Cellokonzerten, 9 Violinkonzerten, 29 Streichquartetten und viele weitere Werke hinzukommen.
Leif Segerstam schreibt nicht nur immens viel, er backt auch gerne und regelmäßig: Lebkuchen oder Blätterteig-Gebäck, das er mit Crème fraîche, Beeren, Birnen oder Schinken füllt. Und manchmal entstehen am Küchentisch nicht nur seine Back-Kreationen, sondern auch seine musikalischen Werke. Seine Sinfonie Nr. 344, die er Prince Philip, dem Duke of Edinburgh gewidmet hat, ist z.B. in der „sehr gemütlichen Küche“ (O-Ton Segerstam) entstanden.
Außerdem hat Segerstam in den Pandemie-Monaten auch viel musiziert, vor allem mit dem Gitarristen Tuukka Terho hat er gespielt und insgesamt 111 Gedichte vertont – in privaten und öffentlichen Improvisation-Jamsessions.
Viel geschrieben hat er also in den letzten zwei Jahren, viel improvisiert und viel gebacken, und trotzdem beachtliche 55 Kilogramm abgenommen – von 172 auf 117 Kilo sei sein Gewicht gesunken. „Ich bin in sehr guter Form, ich bin so wie Tarzan. Wo ist Jane, wo gibt es mehrere Janes?“, witzelte er in unserem Gespräch.
Dann wurde es aber immer wieder auch sehr philosophisch: „Musik ist nicht das, was klingt, sondern Musik ist, warum das, was klingt, so klingt, wie es klingt“. Auch, wenn man über einige Segerstam-Sätze etwas länger nachdenken muss, so lässt sich ein anderes Statement nur ganz dick unterstreichen: „Ich stecke voller Musik – bis in den Fingernagel des kleinen Fingers“. Und deswegen ist eben die Sinfonie Nr. 350 in Arbeit und die Nummer 400 sicherlich auch schon in seinem Visier.