Die Mezzosopranistin rettete vor einer Woche die Aufführung von "Orpheus in der Unterwelt" indem sie Venus und Orpheus gleichzeitig spielte.
Dienstagabend vor einer Woche: die Aufregung an der Volksoper Wien ist groß: denn der Tenor, der den Orpheus spielt, ist erkrankt. Fieberhaft bemüht man sich um Ersatz, doch niemand traut sich zu, diese komplexe Rolle so schnell zu lernen. Die Mezzosopranistin Katia Ledoux, die in der Inszenierung die Venus spielt, bekommt die Turbulenzen mit: "Als ich das gehört habe, hab ich mir, eher als Witz anfangs, gedacht: 'Könnte ich das nicht auch machen'? Es ist so ein durchgängiger Witz, den ich immer wieder gemacht habe, wenn ein Sänger ausfällt (...) Doch diesmal war es eine Produktion, bei der ich selbst mitspiele und ich hab angefangen, mit dem Gedanken zu spielen, wie es aussehen könnte, wenn ich für Orpheus einspringe. Mir ist aufgefallen, dass das eigentlich ziemlich gut gehen würde, da Orpheus und Venus fast keine Szenen miteinander haben. Ich habe angeschauen, die Noten anzuschauen und gesehen, dass ich es singen und die Dialoge lernen könnte. Also habe ich es vorgeschlagen. Und der künstlerische Betriebsleiter und die Direktion haben mir vertraut und gedacht: 'ok, wenn sie verrückt genug ist, zu sagen, dass sie das machen kann, lassen wir sie das machen.'"
Ich hatte wirklich Momente beim Umziehen, in denen ich acht Hände an mir hatte zum Ausziehen, Anziehen, Perücke, Krone, Schuhe...es war wirklich unglaublich. Und dann wieder - hopp auf die Bühne.
Katia Ledoux, Mezzosopranistin
Am meisten Sorge bereitete ihr dabei, Text zu vergessen: "Bei uns im Haus gibt es Übertitel. Ich dachte mir: 'das Publikum kann mitlesen, was ich sage. Wenn ich mich mal vertue, wird es ihnen sofort auffallen.'" Im Endeffekt war es allerdings der Kostümwechsel zwischen den Szenen von Orpheus und Venus, der am Schwierigsten zu bewerkstelligen war: "Es sind komplett unterschiedliche Charaktere: vom einfachen Oprheus zur Super-Glamour-Godess Venus und da haben die Teams von Maske und Kostüm sehr viel gezaubert. Ich hatte wirklich Momente beim Umziehen, in denen ich acht Hände an mir hatte zum Ausziehen, Anziehen, Perücke, Krone, Schuhe...es war wirklich unglaublich. Und dann wieder hopp auf die Bühne", lacht Katia Ledoux.
Beim Finale im zweiten Akt ist das, was Orpheus singt und das was die Venus singt, ähnlich genug, dass es nicht auffällt, wenn die Venus fehlt.
Katia Ledoux, Mezzosopranistin
Doch wie ging man eigentlich vor bei Szenen, in denen Orpheus und Venus gleichzeitig auf der Bühne stehen? "Beide Momente sind Finale, einmal im zweiten und einmal im vierten Akt. Beide sind Riesennummern mit Riesenensemble und großem Chor", erklärt die Mezzosopranistin. "Das Finale im vierten Akt war sowieso überhaupt kein Problem, weil alle Stimmen vom Chor gedoppelt werden. Beim Finale im zweiten Akt hingegen ist das, was Orpheus singt und das was die Venus singt, ähnlich genug, dass es nicht auffällt, wenn die Venus fehlt." Szenisch wurde ausgenutzt, dass die Szenen sehr bewegt sind. So konnte sich Venus unauffällig davonstehlen und kurze Zeit später als Orpheus wieder auftreten.
Stellt sich noch die Frage: wie funktioniert es, dass man als Mezzosopran einen Tenopart übernehmen kann? In ihrer Mezzolage wollte Katia Ledoux die Rolle nicht singen, da sie sonst nicht wie der männliche Orpheus geklungen hätte. Nachdem der Tenor allerdings nicht ihre eigentliche Stimmlage ist, hätte man sie aber evtl. bei besonders tiefen Tönen nicht mehr über dem Orchester und im Publikum gehört. "Wir haben das so gelöst, dass ich meistens in der Tenorlage singe und in den Momenten, in denen es lauter wird oder ich mehr 'Peng' brauche, dass ich wieder in meine höhere Mezzolage wechsle", erklärt die Sängerin.
Ich war wirklich so nervös. Ich habe die ganze Zeit gedacht, ich werde diese Show zerstören!
Katia Ledoux, Mezzosopranistin
Die Nacht vor der Aufführung war kurz, da Katia Ledoux sich vorgenommen hatte, erst ins Bett zu gehen, wenn der Text hunderprozentig sitzt. Um drei Uhr morgens war sie schließlich zufrieden und ging schlafen - nur um vier Stunden später wieder aufzustehen. Zu dem wenigen Schlaf gesellte sich noch die Nervösität: "Ich war so nervös ,wirklich so nervös", lacht die Sängerin, "ich habe die ganze Zeit gedacht, ich werde diese Show zerstören. Jetzt haben alle diese Leute so viel Vertrauen in mich gehabt, dass ich das hinkriege. Und ich, mit meiner Arroganz, werde jetzt sicher hinfallen, Text vergessen, Musik vergessen, falsch einsetzen und die Show ruinieren, das Publikum enttäuschen. Je näher die Vorstellung gerückt ist, desto stärker habe ich diese Gedanken gehabt und gedacht: 'Das wird alles ganz furchtbar'".
Ich glaube, das war der schönste Applaus in meinem Leben
Katia Ledoux, Mezzosopranistin
Doch das Gegenteil war der Fall - die Aufführung wird ein voller Erfolg, das Publikum ist begeistert: "Ich glaube das war der schönste Applaus in meinem Leben. Es gibt schon eine besondere Art der Leidenschaft, die das Wiener Publikum mit sich bringt, wenn es in die Oper geht. Ich bin dann rausgekommen und der Applaus kam wie eine riesige Welle. Es war wunderschön." Zudem gab es zahlreiche positive Emails, Briefe und Rückmeldungen über Social Media.
Würde sie es denn wieder tun und in eine Doppelrolle schlüpfen? "Ein ganz klares "'Jein", meint die Mezzosopranistin. "Ich war so erschöpft und kaputt danach und habe auch direkt bei der Direktion gesagt, dass ich das nicht nochmal machen will. Andererseits...wenn jetzt ein Regisseur zuhört und sagt, er würde das so inszenieren und die Charaktere so aufbauen, auch dass die Umkleiden weniger stressig sind, dann auf jeden Fall." Sie bricht in herzliches Lachen aus: "Ich hatte gesagt, falls ich nochmal sagen würde, dass ich für einen Tenor einspringe, sollen mich ein paar Leute schlagen und jetzt sag ich in einem Interview, dass ich es nochmal machen würde! Aber - natürlich in einem anderen Kontext."