Von Cinecittà bis nach Hollywood – Ennio Morricone prägte mit seinen einzigartigen Kompositionen die Welt des Kinos wie kaum ein anderer. In einem Leben voller Leidenschaft und Widerstände fand er seinen ganz eigenen Stil, der Generationen von Filmbegeisterten bis heute tief im Herzen berührt.
Rom, 1928. Die „ewige Stadt“ steht seit wenigen Jahren unter dem Einfluss des faschistischen Regimes unter Benito Mussolini. Große Teile der Altstadt werden modernisiert, viele historische Viertel abgerissen. Das einstige Zentrum der westlichen Welt ist im Umbruch. In diesen Zeiten des Wandels beginnt die Geschichte eines der größten Filmkomponisten der Welt. Ennio Morricone erblickt am 10. November des Jahres das Licht der Welt. Sein Vater, ein talentierter Trompeter, der sich allabendlich in den Jazz-Bars der Stadt verdingt, wird für den kleinen Jungen zu einem ersten Vorbild. Bereits in diesen frühen Jahren lernt Ennio die faszinierende Wirkung der Musik kennen – als universelle Sprache, die Gefühle fassen und transportieren kann.
Mit sechs Jahren besucht er das Konservatorium in Rom und beginnt das Trompetenspiel, doch schon bald spürt er, dass sein Herz nach mehr verlangt. Musik soll für ihn nicht nur ein Mittel sein, um Geld zu verdienen oder sich Gehör zu verschaffen. Er will mehr erreichen als sein Vater und entdeckt die Komposition – das Kreieren von etwas Einzigartigem aus dem Nichts. Ein Klang wird zu einem Satz, ein Satz zu einem Gedicht aus Noten. Dieser schöpferische Akt zieht ihn mehr in seinen Bann als die Trompete allein. Die klassischen Werke faszinieren ihn ebenso wie die Stücke zeitgenössischer Komponisten. Bald verlässt er die ausgetretenen Pfade und beginnt, Klänge und Töne auf neue Weisen zu arrangieren.
Als Ennio jedoch den Kompositionskurs unter Goffredo Petrassi belegt, wird ihm erstmals bewusst, dass dieser Weg voller Hindernisse ist. Die traditionelle Musikwelt und seine Lehrer reagieren oft skeptisch auf seine Experimente, die auf dem schmalen Grat zwischen moderner und populärer Musik balancieren. Doch Ennio ist kompromisslos: in ihm wächst die Erkenntnis, dass die Konventionen gebrochen werden müssen, dass Musik Bilder beeinflussen und Gefühle formen kann.
Der Beginn seiner Karriere führt ihn auf einen steinigen Pfad. Während die klassische Musikszene ihn kaum wahrnimmt, findet er ausgerechnet in der Welt der bewegten Bilder eine Freiheit, die ihm in der konventionellen Musikwelt verwehrt bleibt: die Magie des Kinos wird ihn von da an nicht mehr loslassen. Seine frühen Arbeiten, unter anderem für Theater und Radio, verschaffen ihm zwar ein Einkommen, aber noch nicht die Anerkennung, nach der er sich sehnt. Erst als er in den 1960er-Jahren für die „Spaghetti-Western“-Filme von Sergio Leone komponiert, kommt der große Durchbruch. Leone, sein Jugendfreund, erkennt das Talent des jungen Komponisten und gibt ihm die Freiheit, einen völlig neuen, einzigartigen Sound zu entwickeln, der schließlich das Western-Genre revolutionieren sollte.
Einer seiner ersten und bis heute wohl bekanntesten Soundtracks ist „Spiel mir das Lied vom Tod“ – ein Werk, das einige der ikonischsten Musikstücke der Filmgeschichte hervorgebracht hat. Hier geht Morricone mit einfachen, fast minimalistisch anmutenden Melodien vor, die jedoch von ungeheurer Tiefe und emotionaler Wucht sind. Mit der Mundharmonika als Leitmotiv schafft er eine düstere, melancholische Atmosphäre, die den Tod fast wie eine tragische Hauptfigur des Films erscheinen lässt. Der Klang der Mundharmonika, gepaart mit schwebenden Violinen und abgehackten Trompetenstößen, wird zum Symbol für den einsamen Antihelden – ein von da an unabdingbarer Topos des Westerngenres.
Morricones Art zu Komponieren war so einzigartig wie seine Musik selbst. Oft begann er nicht mit der Melodie, sondern mit dem Bild. Er sah Szenen des Films, ließ sie in seinem Kopf nachwirken und fand dann die musikalischen Noten, die den Film nicht nur untermalten, sondern ihm eine neue Dimension gaben. Anders als viele Komponisten seiner Zeit beschränkte er sich nicht darauf, die Handlung zu begleiten. Stattdessen versuchte er, in die Psyche der Figuren einzudringen und das Unsichtbare hörbar zu machen – die innersten Ängste, Hoffnungen und Konflikte. Vielleicht ein Teil des Geheimnisses, warum seine Werke auch eigenständig funktionieren, oft sogar den eigentlichen Film überragen.
„The Good, the Bad and the Ugly“, ein weiteres Meisterwerk, zeigt dieses außergewöhnliche Gespür. Das Hauptthema, ein seltsam hypnotisches, fast tierisch anmutendes Geräusch, das den Wilden Westen perfekt einfängt, wird durch Pfeifen und stimmliche Effekte ergänzt. Einfache Motive, die Ennio kunstvoll verschachtelt und variiert, durchziehen den Film wie ein musikalischer roter Faden. Die Musik tritt selbstbewusst in den Vordergrund, kommentiert, leitet und verschmilzt mit der Handlung. Diese Kompositionen sind es, die ihm schließlich internationale Anerkennung bringen – und die Türen zu Hollywood öffnen.
Ein weiteres Werk, das Morricone als Genie etablierte, war der Soundtrack für „The Mission“. Das Epos über Glauben, Sünde und Menschlichkeit wird durch seine sakralen Chöre und die getragenen Streicher eindrucksvoll untermalt. Der Einsatz der Oboe in dem berühmten Stück „Gabriel’s Oboe“ spiegelt die Zartheit und Verletzlichkeit des Missionars Gabriel wider und verleiht der Musik eine überirdische, fast himmlische Qualität. Morricone komponiert hier nicht nur, er schafft ein spirituelles Erlebnis, das weit über die Grenzen der Leinwand hinausgeht.
Doch Morricones Weg war nicht immer leicht. In der Filmbranche, die oft schnelle und einfach konsumierbare Melodien bevorzugt, gerät er immer wieder mit Produzenten aneinander. Die Experimente, die seine Musik so einzigartig machen, werden von einigen Studios als zu gewagt empfunden. Auch in den 1980er Jahren, als der Synthesizer an Popularität gewinnt und die Filmmusik zu einem zunehmend kommerziellen Geschäft wird, bleibt Morricone seiner Philosophie treu und verweigert sich einem Trend, der für ihn die Essenz der Musik verfehlt. Trotz dieser Schwierigkeiten bleibt er unbeirrbar und wird zur Legende.
In den 2000er-Jahren erleben seine Werke ein Comeback, und viele seiner Klassiker werden neu entdeckt. Quentin Tarantino, ein leidenschaftlicher Fan des Komponisten, verwendet zahlreiche seiner Stücke in Filmen wie „Kill Bill“ und „Django Unchained“. 2016 erhält Morricone schließlich seinen zweiten Oscar für die Filmmusik zu Tarantinos „The Hateful Eight“. Die Würdigung durch ein junges Publikum beweist ihm, dass sein Werk zeitlos ist, dass er Grenzen überschritten hat, die ihn zu einem universellen Künstler machten.
Morricone verstarb im Juli 2020 im Alter von 91 Jahren, doch seine Musik lebt weiter. Sie hallt in den Kinosälen, in den Herzen der Menschen, die sie gehört haben, und in der Welt des Films wider. Sein Schaffen ist eine Hommage an die Kraft der Töne und die Grenzenlosigkeit der Kreativität. Morricone verstand, dass Musik eine Erzählkunst ist, die Geschichten erzählt, die das gesprochene Wort oft nicht ausdrücken kann.
Er war nicht einfach nur ein Komponist – er war ein Poet, ein Künstler, der den Film als seine Leinwand betrachtete. Seine Werke bleiben ein unvergessenes Zeugnis seines unerschütterlichen Glaubens an die Kraft der Musik.