Jede Woche wählt ein Mitglied aus der Redaktion eine persönliche Wahre Geschichte der Woche aus und verleiht ihr eine besondere Note.
Diese Woche kommentiert Thomas Ohrner:
Hätten sie gedacht, dass wir dem Stoff aus dem die Träume sind eigentlich den Billardkugel verdanken?
Wer Mitte des 19. Jahrhunderts Billard spielt, gilt nicht gerade als Naturschützer. Im Gegenteil: Billardkugeln bestehen aus Elfenbein. Tausende Elefanten müssen ihr Leben lassen, um allein die vielen Saloons in den USA zu versorgen.
Teuer ist der seltene Rohstoff auch noch. Also wird ein Wettbewerb ausgeschrieben: 10.000 Dollar für eine brauchbare Alternative zu Elfenbein. Der experimentierfreudige Druckergeselle John Wesley Hyatt macht sich ans Werk. Er überzieht einen Ball ausgepresster Stoffreste mit Kollodium, einer zähen, leimartigen Tinktur. Die stellt er aus Ether, Alkohol und nitrierter Cellulose her. Für letzteres tränkt er Baumwolle in Salpetersäure. Es entsteht ein Stoff, der aussieht wie Glas, aber sehr zäh ist. Sein Bruder Isaiah tauft es Zelluloid.
Der richtige Überzug für Billardkugeln? Nicht wirklich, denn es gibt einen unüberhörbaren Nachteil: Prallen die Kugeln hart aufeinander, entstehen winzige Explosionen.
Zelluloid ist chemisch betrachtet mit Dynamit verwandt und leicht entflammbar. Ein Saloonbesitzer schreibt Hyatt: "Jedes Mal, wenn die Kugeln zusammenstoßen, ziehen alle Männer im Raum den Revolver." Hyatt bekommt kein Preisgeld, dennoch ist seine Erfindung vielversprechend. Vermischt mit ätherischen Ölen und Farbe, ist Zelluloid unter Hitze formbar. Beim Erkalten erstarrt es, ohne brüchig zu werden.
Große Bekanntheit erlangt schließlich der Kunststoff durch die Filmindustrie. Auch wenn die ersten Filmemacher ebenfalls mit der Entflammbarkeit kämpfen, ganze Projektoren abbrennen, dieser Stoff Zelluloid war der Anfang der großen Leinwandklassiker.
Eben der Kino-Stoff aus dem die Träume sind.
Herzliche Grüße
Ihr Thomas Ohrner
Die Wahre Geschichte hören Sie immer Mo bis Fr um 9.10, 17.10 und auf Klassik Radio Select.