Jede Woche wählt ein Mitglied aus der Redaktion eine persönliche Wahre Geschichte der Woche aus und verleiht ihr eine besondere Note.
Diese Woche kommentiert Anna Baumgart:
Wenn mir meinem Ich im Teenager-Alter jemand erzählt hätte, dass ich irgendwann Freude daran habe, in der Erde zu wühlen und winzige Samen einzupflanzen, um ihnen dann beim Wachsen zuzusehen, hätte ich vermutlich mit Unverständnis reagiert; wie kann man das nur als erholsam, erfüllend, geschweige denn als interessant empfinden?
Heute sieht das, wie Sie sich schon denken können, anders aus. Und das Schönste daran ist tatsächlich, nach getaner Arbeit im Grünen zu sitzen und sich das Werk anzusehen. Die verschiedenen Blätter, Blüten, die Insekten, die sich daran ebenso erfreuen wie ich.
Ich kann also Claude Monet verstehen. Den Maler, der von seinem Seerosenteich im Garten so fasziniert, ja, regelrecht besessen war, dass er nicht mehr davon loskam. 250 Ölgemälde schuf der Franzose mit immer dem selben Motiv. Doch die Tageszeiten, das Licht und die Stimmung veränderten sich stets, so, dass er es immer wieder neu einzufangen versuchte. Malte er ansonsten häufig flüchtige Begegnungen und Momentaufnahmen, so schuf er mit seinen Seerosen einen Blick für die Ewigkeit. Immerwährende Schönheit. Einen Ruhepol in unsteten Zeiten.
Dabei hatte der Maler es gar nicht auf ein neues Motiv abgesehen. Zu einem Besucher soll er gesagt haben: "Ich habe einige Zeit gebraucht, um meine Seerosen zu verstehen. Ich habe sie nur zum Vergnügen gepflanzt; ich habe sie gezüchtet, ohne daran zu denken, sie zu malen. Eine Landschaft braucht mehr als einen Tag, um einem unter die Haut zu gehen. Und dann, ganz plötzlich, hatte ich die Offenbarung, wie wunderbar mein Teich ist, und griff zur Palette."
Während man seine Seerosen-Gemälde heute im Musée de l`Orangerie im Tuilerien-Garten in Paris bewundern kann, ist ebenso sein Garten mit dem berühmten Teich in Giverny, ca. 70 km von Paris entfernt, für Neugierige zugänglich. Vielleicht muss ich eines Tages dort hin reisen und für immer am Rande des Teiches sitzen bleiben, um seine Seerosen anzusehen, die ihm soviel Frieden gegeben haben. Denn würde mir heute jemand sagen, dass ich irgendwann nicht mehr in der Erde wühlen, winzige Samen einpflanzen und ihnen dann beim Wachsen zusehen werde – ich würde vermutlich mit Unverständnis reagieren.
Herzliche Grüße
Anna Baumgart
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