Lange Zeit waren sie verpönt und auch heute noch sind sie teils schwer zu finden: Komponistinnen aus den vergangenen Jahrhunderten. Arno Lücker hat ein Tool entwickelt, dass das ändern soll.
Das Prinzip ist ähnlich dem des Wahl-O-Mats, der vor Wahlen von der Bundeszentrale für politische Bildung angeboten wird: Man klickt sich durch verschiedene Fragen und am Ende wird die Komponistin angezeigt, die vermutlich am besten zur eigenen Persönlichkeit passt - inklusive Link zu einem ihrer Werke.
Allerdings hat der Komponistin-O-Mat einen entscheidenden Unterschied, erklärt Arno Lücker: "Es ist nicht so wie der Wahl-O-Mat, das man 30 Dinge abdingeln muss und am Ende bekommt man eine prozentuale Verteilung. Ich wollte es etwas ästhetisch-rigoroser machen." So ist die Abfolge der Fragen immer anders, je nachdem, ob man mit "ja" oder "nein" antwortet. "Insgesamt gibt es 62 verschiedene Fragen - bei manchen Runden ist man schon nach Frage sechs am Ziel, bei anderen nach Frage 17" , erklärt er .
Auf die Idee zu dem besonderen Tool kam der Dramaturg und Pianist, als er vor zwei Jahren begann, eine Reihe über Komponistinnen zu schreiben. "Ich erlebe es eben auch in meinem Musiker*innen und Freund*innenkreis, dass durchaus die Meinung bei Männern herrscht, das Frauen nicht so gut komponieren könnten bzw. es ja auch jahrhundertelang seltener gemacht haben, als wir Männer. Es war mir natürlich klar, dass das nicht stimmt. Deshalb habe ich 250 Komponistinnen aufgereiht und eine Excel-Tabelle gemacht und da bestimmte Eigenschaften reingeschrieben."
Dazu hat sich Arno Lücker jeden Tag Musik von drei Komponistinnen angehört. "Immer so zehn Minuten und hab das eingeordnet, so nach Epoche, ob das für mich richtig tolle Musik ist oder eben so Musik aus der Zeit, die ok war, aber eben nicht weiter auffällig. Dann habe ich mir jeweils Eigenschaften aufgeschrieben und alles in dieser Exceltabelle sortiert. "
Doch Arno Lücker möchte mit dem Komponistin-O-Mat mehr als nur unterhalten: er soll helfen, Komponistinnen der vergangenen Jahrhunderte wiederzuentdecken. Denn es gab sie, obwohl ihnen viele Steine in den musikalischen Weg gelegt wurden: "von der Gesellschaft, die gesagt hat: 'Kümmer' Dich mal ein bisschen mehr um deine Kinder. Du bist keine Künstlerin, Du darfst höchsten hübsch sein und Klavier spielen...das sind so Dinge, bei denen mal auch als Mann, gerade als als emanzipierter Mann, richtig sauer wird, wieviel kreatives und auch menschliches Potential tausende von Jahre unterdrückt wurde. Ich möchte mich da gar nicht als Weltverbesserer hinstellen, ich habe ja selber sehr viele Freude dabei, auf den Spuren weiblichen Komponierens zu wandeln."
Wie ist das eigentlich: komponieren Frauen anders als Männer? "Wenn ich eine Beobachtung habe, dann ist es, dass Frauen tatsächlich auf eine Weise besser komponieren, weil sie sich nicht auf bestimmt Maxime verlassen. Weil sie sich vielleicht auch nicht so institutionell und in ihrem Hirn darauf verlassen, was es schon gibt. Die überlegen sich etwas neues, etwas ganz krasses."
Klingt logisch: Frauen, die gegen das damals gängige Gesellschaftsideal rebellierten, ließen sich vermutlich auch musikalisch keine Grenzen aufoktroyieren.
"Es gibt Musik von der Komponistin Beijerman-Walraven oder Elsa Barraine oder Rosy Wertheim, die privat, unter Einsatz ihres Lebens, im zweiten Weltkrieg, im besetzten Amsterdam, heimliche Kellerkonzerte organisiert hat. Diese Musik zu hören und dann zu merken, dass Frauen tatsächlich einfach, im intellektuellen Sinne, unterhaltsamer und spannender komponieren. Das war für mich tatsächlich eine Erkenntnis, die sich immer bewahrheitet, wenn ich täglich Musik von Komponistinnen höre. "
(28.06.21/K.Jäger)